Man hat mir schon oft gesagt, ich sei eigentlich kein richtiger Fußball-Fan. Eher so ein Erfolgs- und Event-Fan, der sich dafür, dass er nur ein Erfolgs- und Event-Fan ist, allerdings ganz okay auskennt. Man hat mir das während des Studiums gesagt, später dann bei Sport1, bei SPOX, beim Kicker und auch jetzt bei NEON und NIDO. Ich habe das immer entschieden zurückgewiesen. Seit letztem Mittwoch muss ich allerdings umdenken. Vielleicht hatten sie alle recht.

Am Mittwoch war das Münchner Derby. Die Amateure von 1860 München gegen die Amateure des FC Bayern. In der Regionalliga, das ist vierte Liga. Ein paar meiner NEON-Kollegen fanden, dass man doch mal zusammen zum Derby könnte, das wäre sicher lustig. Ich fand das auch. Im Grünwalder war ich schon ein paar Mal, z.B. als Luca Toni vor ein paar Jahren von Louis van Gaal zu den Amateuren abgeschoben wurde, das fand ich interessant, das hab ich mir angeschaut.

Der Kollege Ost hat also Karten besorgt, für den Bayern-Fanblock, von einem Bayern-Fan, den ich auch vom #tpmuc kenne, einem monatlichen Stammtisch von Fußball-Fans, die sich über Twitter kennen. Alles super Leute da, immer sehr nett, allerdings hat man mir auch da schon ein paar Mal gesagt, dass ich nur ein Erfolgs- und Event-Fan bin.

Am Tag vor dem Spiel teilte Kollege Ost den weiteren Ablauf per Mail mit: »Ich würde euch nicht empfehlen, im Bayern-Trikot alleine zum Stadion zu laufen. Inkognito dürfte es eher möglich sein.« Seine Empfehlung lautete, sich am besten einfach den Bayern-Fans anzuschließen, die sich vorab am Nockherberg träfen, um von dort gemeinsam und von der Polizei geleitet ins Stadion zu gehen. In diesem Zusammenhang fiel auch zum ersten Mal der Begriff »Risikospiel«.

Meinen Versuch, mir hieb- und stichfeste Ausreden zu überlegen, warum ich eventuell doch nicht dabei sein könnte, beendete der Chef mit der rüden Anweisung, ich möge mir jetzt gefälligst nicht so ins Hemd machen, wir würden da morgen alle zusammen hingehen, das würde schon alles super werden.

Zwei Stunden vor Spielbeginn standen wir also im geschlossenen Biergarten des Nockherberg, wo gut tausend Bayern-Fans bereits mit dem Warmsingen beschäftigt waren: »Tod und Hass« und »Giesinger Bauern« waren die größten Hits. Wir haben uns ein bisschen abseits gestellt und ein Bier getrunken. Dann sagte die Polizei über den Lautsprecher, dass es jetzt losgeht und dass sich bitte alle benehmen sollen. Ich habe derweil überlegt, ob ich heute wirklich Lust auf Fußball habe. Es hat auch leicht genieselt.

Die Polizisten trugen Helme mit Visier und liefen vor, neben und hinter der Bayern-Gruppe. Ich lief ganz außen. Der erste Böller explodierte, noch während wir den Biergarten verließen. Nach 500 Metern der nächste Knall, diesmal direkt rechts hinter mir. Ich ging ein bisschen weiter nach links, näher an die Polizisten heran, die mich allerdings verständnislos wieder zurück in die Bayern-Gruppe drängten.

Ich bin übrigens gar kein Bayern-Fan. das wurde mir zwar schon oft unterstellt, bei Sport1, bei SPOX, beim Kicker, auch jetzt bei NEON und NIDO, aber das stimmt nicht, das habe ich schon immer entschieden zurückgewiesen. Ich möchte das an dieser Stelle mal klarstellen. Ich bin manchmal Bayern-Fan, wenn ich die aktuelle Mannschaft gut finde. Manchmal aber auch Dortmund-Fan, wenn ich da die Spieler gut finde. Ich war auch schon mal Hertha-Fan, als die unter Favre mit Pantelic und Woronin immer 1:0 gewonnen haben. Cottbus fand ich auch schon mal super. Das wechselt recht oft bei mir, manchmal bin ich auch Fan von mehreren Mannschaften gleichzeitig.

Kurz vor der Au hat sich dann alles etwas gestaut, vorne war eine Kreuzung, da ging es nicht weiter. Irgendwann hat dann wieder irgendwer irgendwas gezündet, jedenfalls stand ich eine Weile in einer Wand aus rotem Rauch und habe nicht so viel gesehen. Gesungen wurde immer noch, »Tod und Hass«, »Giesinger Bauern«, die ganze Zeit. Ich wünsche nie jemandem Tod und Hass. Und Giesing find ich total okay. Ich habe dann zum zweiten Mal überlegt, dass ich heute eigentlich gar keine Lust auf Fußball habe. Außerdem lief im Fernsehen Champions League, Dortmund gegen Arsenal.

Ein paar hundert Meter weiter waren wir in einer engen Straße. Aus den Wohnhäusern haben die Giesinger herunter zu den Bayern-Fans auf der Straße geschaut. Die Bayern-Fans unten auf der Straße wiederum haben »Giesinger Bauern« nach oben zu den Giesingern gesungen.

Dann wurde ich von links umgerempelt: Sechs oder sieben Polizisten, die eilig an mir vorbeirannten und in ihr Funkgerät »Einsatz! Einsatz!« oder »Zugriff! Zugriff!« riefen, ganz genau habe ich das in der Eile nicht verstanden. Ein Kollege sagte am nächsten Tag, dass Polizisten so etwas auch rufen, wenn sie sich z.B. nur eine Leberkässemmel holen, das sei ganz normal und nicht weiter beunruhigend. Aber was weiß denn ich.

Hundert Meter weiter vorn fing plötzlich alles an zu blitzen, grelles weißes Licht gen Himmel, das wild herumflackerte, als wenn da wirklich einiges los wäre. Am nächsten Tag sagte mir jemand, dass seien nur die so genannten Blitz-Pyros gewesen, die seien nicht weiter schlimm, aber ich habe natürlich keine Ahnung, ob das stimmt.

Ich habe mir dann überlegt, dass das jetzt den ganzen Abend so weitergehen würde. Dass wir jetzt hier noch eine Weile bei Nieselregen durch Giesing laufen und die Leute um mich herum »Tod und Hass« und »Giesinger Bauern« singen. Dass wir dann irgendwann im Stadion ankommen und in den Bayern-Block geleitet werden. Dass es in diesem Block alle paar Minuten hinter oder vor oder neben mir knallen und explodieren wird. Dass ich vor lauter Rauch nicht viel vom Spiel sehen werde. Dass ich aus der Bayern-Mannschaft ohnehin nur Hojbjerg und Weiser und Green kenne, von 1860 sogar niemanden. Dass es mir komplett egal sein wird, wer dieses Spiel gewinnt. Und dass die Leute um mich herum, die die ganze Zeit »Tod und Hass« singen, für den restlichen Abend meine besten Freunde sein werden, weil im Stadion eine Übermacht aus acht- oder neuntausend 1860-Fans wartet, die ja wiederum mir »Tod und Hass« wünschen.

Ich habe dann entschieden, dass ich heute nicht so richtig Lust auf Fußball habe. Als der Bayern-Zug irgendwann nach links abbog, ging ich nach rechts. Ich habe Zuhause Champions League geschaut und mich sehr über die Dortmunder Niederlage gegen Arsenal geärgert. Gleichzeitig habe ich mich aber auch sehr darüber gefreut, wie stark Arsenal auftritt, seitdem Mesut Özil dort spielt. Ich glaube, nächstes Jahr werden wir Weltmeister.

[Alle drei Bilder vom Chef geklaut]