Ich habe gestern auf dem Münchner Nachtflohmarkt eine etwas ältere Ausgabe des stern erstanden: Heft Nr. 17 vom 26. April 1964, Originalpreis damals: 70 Pfennig. Die Ausgabe ist deutlich größer als die heutigen, das Papier ist rauer, ein bisschen zerknittert und beim Blättern riecht es muffig, doch dafür, dass stern Nr. 17 vom 26. April 1964 jetzt knapp fünfzig Jahre auf dem Buckel hat, ist er noch ziemlich gut in Form. Print lebt.

In der Titelgeschichte haben die stern-Reporter Max Scheler und Hans Krammer John, Paul, George und Ringo sieben (!) Tage lang in London besucht. Begleitet wurden sie von der Fotografin Astrid Kirchherr, die die Band seit ihren Anfangstagen in Hamburg kennt und die mit dem ersten Beatles-Bassisten Stuart Sutcliffe bis zu dessen Tod 1962 liiert war. Kirchherr hatte Sutcliffe zu Beginn der Sechziger einen Pilzkopf verpasst, weil sie seine Frisur langweilig fand. Nachdem die übrigen Beatles Sutcliffe zunächst ausgelacht hatten, ließen sie sich wenig später allesamt selbst einen Pilzkopf schneiden.

Ich hoffe, das ist in Sachen Zitatrecht in Ordnung, aber in dieser stern-Titelgeschichte sind so wahnsinnig viele großartige Sätze, dass ich sie hier hinposten möchte, um sie nicht immer wieder in der Original-Ausgabe nachlesen zu müssen, denn bei jedem Blättern bröckelt links und rechts dann doch leider immer wieder ein kleiner Papierschnipsel ab.

Aus der Beatles-Titelgeschichte im stern Nr. 17 vom 26. April 1964:

»Mit scharfer Gitarre und kehligem Gesang lärmen sich vier clevere Jungs aus den Slums von Liverpool ein Vermögen zusammen. Sie sehen aus wie zerzauste Vögel. Wo sie erscheinen, fallen Mädchen in Ohnmacht, und Massenwahn bricht aus."«

»Sie trugen lange Koteletten und verwegene Halbstarken-Tollen. Wie vom Konditor aus der Spritztüte gedrückt.«

»Es ist ja eine verrückte Art von Musik. So eine art synthetischer Höllenlärm. Das junge Volk wird ganz wild davon. Und die Kommunisten wurden ganz verrückt.«

»Vom Boden bis zur Decke auf Beatles eingestellt ist die sechzehnjährige Sandra Taylor. Die halbwüchsige Tochter eines ehrenwerten Briefträgers ist eine hitzige Verteidigerin des 'duften Klangs' von Liverpool. Für Sandra sind die Beatles mehr als eine Schwärmerei. Sie macht aus ihnen eine Weltanschauung.«

»Die jungen Leute sind einsam. Nur im hysterischen Rausch entrinnen sie ihrer Einsamkeit, für kurze Zeit verbinden sie sich alle miteinander. Die Beatles selbst sind klassische Beispiele für die Lustlosigkeit der Jungen, 'erwachsen' zu werden. Auf keinen von ihnen wartet ein verlockendes Leben.«

»John Lennon steht vor dem Fernsehschirm und äfft schreiend den Ansager nach. Es geht zu wie in einer Klapsmühle. Vor dem Haus, in dem die Familie wohnt, lungern Gruppen junger Mädchen herum und werfen, ohne zu ermüden, immer wieder sehnsüchtige Blicke zu den Fenstern der Lennons hinauf. Cynthia Lennon schaut jedesmal vorsichtig durch die Gardinen zur Straße hinunter, ehe sie sich aus dem Haus wagt, um Einkäufe zu machen. Meist lauern Teenager unten, um sie anzufassen.«

»Ein wunderliches Gretchen, diese Astrid Kirchherr aus Hamburg, 25 Jahre alt, Fotografin, Tochter eines Autovertreters. Zu Faust würde sie wahrscheinlich sagen: 'Heinrich, du kotzt mich an.'«

»Als wir George und Ringo besuchen, die im eleganten Mayfair-Viertel eine Fünf-Zimmer-Wohnung haben, müssen wir im Flur Berge von Post übersteigen. George ist vor ein paar Tagen 21 geworden. Er bekam etwa 200.000 Glückwünsche. 'Wir werden jeden einzeln beantworten', grinst Ringo. Er kommt gerade aus der Badewanne. Während Ringo sich abtrocknet, führt er uns die neuesten Tänze vor: den Hitchhike, den Shake, den Monkey, den Bird - so muss ein Spastiker aussehen, der Schüttelfrost hat.«

»John, 23, ist der Intellektuelle. Er sieht immer nachdenklich aus. Das kommt zum Teil daher, daß er sehr kurzsichtig ist.«

»Die Beatles wissen, daß sie nicht ewig oben bleiben können. Sie haben sich Gedanken über die Zukunft gemacht. John und Paul möchten bei der Musik bleiben. George hofft, einmal so viel zu haben, daß er nicht mehr arbeiten muss und den ganzen Tag in bunten Westen herumlaufen kann. Und Ringo denkt, vielleicht wird er mal einen ganzen Haufen von Friseurgeschäften besitzen und sich täglich die Haare schneiden.«

»Für mich ist dies die größte aller Beatles-Überraschungen: dass die vier Mopköpfe, die gemeinsam auf der obersten Sprosse der Erfolgsleiter sitzen, ohne jedes Schwindelgefühl darauf herumturnen, als sei das Leben ein Kostümfest mit freiem Eintritt.«