Ich habe im Blog von Malte Welding einen Text über Jogi Löw gelesen, eine ziemlich engagierte und umfangreiche Kritik, in der es z.B. um fehlende »Holzigkeit«, zu viel Schönspielerei, viel zu viel Ideologie und insgesamt eine ziemliche Unausgegorenheit im gesamten Tun der Elf dieses DFB-Trainers ging. Welding findet: "Löw ist kein guter Trainer, war nie ein guter Trainer und wird vermutlich nie einer sein."
Der Kern-Vorwurf des Textes ist derselbe, den man auch mittags in der Kantine und abends in der Kneipe immer öfter hört: Mit Löw haben wir bei den letzten drei Turnieren nichts gewonnen, und mit Löw werden wir auch bei den nächsten Turnieren nichts gewinnen, trotz all dieser Hochbegabten und der spielerisch besten Nationalelf seit dreißig Jahren. Deshalb muss Löw jetzt endlich weg.
Es ist nicht davon auszugehen, dass Joachim Löw es noch vor der WM in Brasilien schafft, irgendwo irgendeinen Titel hervorzuzaubern, und es ist daher leider auch nicht davon auszugehen, dass diese Diskussionen bis zur WM in Brasilien irgendwie versacken. Trotzdem kann es vielleicht nicht schaden, einfach noch mal auf diese vergangenen Turniere zurückzublicken:
Es wird immer so getan, als wären da auf DFB-Seite lauter Özils, Müllers, Götzes, Reus', Badstubers, Boatengs, Hummels' und Neuers auf dem Platz gewesen. Das stimmt leider nicht ganz: Die Doppelsechs 2008 hieß Frings und Hitzlsperger. Schweinsteiger galt damals noch als einer unserer kreativsten (!) und musste als »Tempodribbler« auf dem rechten Flügel ran. Und in der Pause kam Jansen für Lahm, der damals auch noch kein »super super super Spieler« (Pep Guardiola) war. 2010 war das nicht viel anders. Vor dem Turnier wurde diskutiert, ob Thomas Müller überhaupt mit müsse und ob so eine WM nicht viel zu früh für ihn komme. Der Ausfall von Michael Ballack wurde allgemein beklagt, Sami Khedira war nicht mehr als ein Talent des VfB Stuttgart, und Lahm hatte mit Schweinsteiger gerade chancenlos das Champions-League-Finale verloren und war maximal ein »super Spieler«. Gegen Spanien stand dann Piotr Trochowski in der Startelf, und nach der Halbzeit kam schon wieder Jansen. Hitzlsperger! Jansen! Trochowski! Hallo!?
Die Spanier dagegen: Casillas, Ramos, Puyol, Pique, Alonso, Busquets, Xavi, Iniesta, Torres, Villa. Die ganze Zeit! 2008 waren die alle kurz vor ihrem Zenit, 2010 direkt auf ihrem Zenit. Und 2012 hat's dann kurz nach dem Zenit sogar noch mal geklappt. Auch mit ihren Vereinen haben die in dieser Zeit alles gewonnen und dominiert. Ich finde das unglaublich vermessen, das einfach so zu ignorieren und rückblickend enttäuscht und pikiert zu sein, dass es bei der DFB-Elf die ganze Zeit nicht mit dem Titel geklappt hat. Diese spanische Nationalmannschaft ist wahrscheinlich das beste Team der letzten dreißig, vierzig, fünfzig Jahre.
Ich habe unter Joachim Löw bislang zwei schlimme Spiele gesehen. Das alberne 4:4 gegen Schweden und das bittere 1:2 gegen Italien.
Schweden hab ich schon wieder vergessen. Ich glaube nicht, dass sich ein Spiel mit so einem Verlauf, so einem Sog, so einem Flow noch mal wiederholen wird. Die DFB-Elf hat sich da ungefähr so unerfahren angestellt, wie Dortmund beim Champions-League-Aus in der Gruppe 2011/2012. Die BVB-Spieler haben daraus gelernt, 2012/2013 lief das alles ja schon deutlich besser.
Und dann Italien. Ja, da hat sich Joachim Löw krass vercoacht, so weit ich das beurteilen kann. Und zwar zum ersten Mal, so weit ich mich erinnern kann. Gegen Italien hat die deutsche Nationalmannschaft übrigens noch nie (!) gewonnen, wenn es um etwas ging. Wahrscheinlich könnte Italien auch mit einer Elf aus Busfahrern, Zeugwarten und Masseuren gegen die DFB-Elf antreten - es würde schon reichen. Es gibt ein tolles Bild von der WM 2006, da geht Gennaro Gattuso an Michael Ballack vorbei, und im Vorbeigehen zwickt er ihm ganz beiläufig wie einem Schuljungen in die Backe. Ballack guckt extrem verdutzt, irritiert, pikiert. Gattuso guckt gar nicht, er geht einfach weiter, das passiert bei ihm so nebenbei. Ich glaube, dass es an solchen Dingen liegt, dass wir gegen Italien immer verlieren. Wenn ich mir also aussuchen könnte, in welchem Spiel Joachim Löw sich zum ersten und einzigen Mal vercoachen möge: ja, dann bitte gegen Italien. da ist es eh egal.
Ich verstehe nicht, wie man ernsthaft meinen kann, die DFB-Elf wäre bei einem dieser Turniere wirklich dran gewesen mit dem Titel. Ein Sieg 2008 oder 2010 wäre reiner Zufall und viel zu früh gewesen. Und Italien 2012 war schlicht Lospech. Die Dortmunder haben gerade ihre allererste gute internationale Saison gespielt. Die Bayern haben gerade zum ersten Mal endlich ihr Champions-League-Finale gewonnen. Bis auf Lahm und Schweinsteiger sind die alle superjung, alle noch vor ihrem Zenit, die kommen schon noch dran. Vielleicht schon in Brasilien. Vielleicht aber auch erst später, mit dem Gedanken sollte man sich zumindest mal anfreunden.
Denn so, wie es beim Confed Cup aussah, spielen die Brasilianer vor heimischen Publikum in jedem Spiel neunzig Minuten lang so, wie Barca oder Real in der ersten halben Stunde eines Champions-League-Heimspiels nach unglücklich verlorenem Hinspiel: Die überrennen ihren Gegner einfach. Auch wenn der Gegner Italien oder Spanien heißt. Wielleicht sind die Dortmunder und Bayern in Brasilien schon auf ihrem Zenit, vielleicht werden sie dort aber trotzdem überrascht: von den Bedingungen, der Kulisse, dem Gastgeber, denn sehr wahrscheinlich werden weder die Bayern noch die Dortmunder bis dahin viele Erfahrungen darin sammeln, von einem Gegner überrannt zu werden.
Vielleicht wird das also auch in Brasilien noch nichts. Das ändert aber weder etwas daran, dass Joachim Löw der fähigste und beste Bundestrainer ist, den ich bislang miterlebt habe, noch ändert es etwas daran, dass diese Mannschaft den besten Fußball spielt, den ich bei DFB-Teams bislang gesehen habe, und ich schaue mir das seit 1988 alles an. Von meiner Seite aus darf Joachim Löw gerne bleiben.